Was Freundschaften betrifft, bin
ich nicht sehr sentimental veranlagt. Ich sammle keine Poesie-Alben
voller kitschiger Kalendersprüche über wahre Freunde und Seelenverwandte
in Verbindung mit Sonnenuntergangs-Strand-Fotos. Um ganz ehrlich zu
sein, finde ich sowas sogar ziemlich zum Kotzen. Wenn einer meiner
Facebook-Freunde solchen Kram verlinkt, bin ich jedes Mal in Versuchung,
die Freundschaft umgehend zu kündigen. Grund: Geschmacksverirrung!
Es erscheint mir auch
nicht überlebenswichtig, meinen Freunden ständig und überall zu
beteuern, wie außerordentlich froh und dankbar ich bin, dass es sie
gibt. Ich vergesse einen Freund nicht, wenn er sich eine Weile nicht bei
mir meldet. Ich möchte von Freundinnen nicht "Süße" oder "Schatzi"
genannt und mit Küsschen begrüßt werden. Ich bin auch nicht gekränkt
oder um eine Freundschaft besorgt, sobald man sich keine stündlichen
Updates über Twitter, Facebook oder SMS zukommen lässt. Genausowenig
behellige ich im Gegenzug die anderen mit Statusmeldungen über meine
derzeitigen Schlaf-, Ess-, Einkaufs- oder sonstigen Lebensgewohnheiten.
Im
Lauf der Jahre hat es sich also ergeben, dass ich mich hauptsächlich
mit Menschen umgebe, die diesbezüglich ähnlich denken. Keine große
Gefühlsduselei, einfach leben und leben lassen. Viele habe ich online
kennengelernt, über gemeinsame Interessen und Hobbies: Menschen, denen
ich auf der Straße oder am Arbeitsplatz womöglich nicht aufgefallen wäre
und umgekehrt. Computerspieler, IT'ler, Studenten, schräge Vögel...
Entgegen vieler Vorurteile stellten sich nur die wenigsten als Perverse
oder Psychopathen heraus. Höchstens als Nerds.
Gegen die habe ich nichts (wenngleich bei meinen Eltern vermutlich
stets die Alarmglocken läuteten beim Thema "Freunde aus dem Internet").
Und obwohl ich bei einigen immer wusste, was
ich an ihnen habe und es bei vielen anderen einfach hoffte -
überraschte es mich dennoch, wie sehr meine Freunde in der jüngsten
Vergangenheit für mich da waren und sind.
Schon
an den ersten Tagen im Krankenhaus bekam ich viele Nachrichten von
ihnen. Sie waren geschockt und traurig als sie von meiner Diagnose
erfuhren, ließen sich meine neue Nummer geben und meldeten sich. Einige von
ihnen fanden so ehrliche, liebe und mitfühlende Worte wie ich sie gar
nicht von ihnen kannte oder erwartet hätte. "Wir" sind doch eher unterkühlt. Nüchtern. Un-emotional. Beherrscht. Cool.
Trotzdem
heulte ich vor Freude, als ich merkte, dass sogar der "seltsame
Viel-Telefonierer" trotz manch fieser Bemerkungen meinerseits einfach
für mich da ist, selbst 3 Uhr nachts, wenn ich mich zu Tode langweile
oder weine, weil ich mich verlassen und einsam fühle. Bessere Freunde
kann ich mir kaum vorstellen.
Als
ich 6 Jahre alt war, am Tag meiner Einschulung, saß ein Mädchen neben
mir und fragte mich, ob ich eine beste Freundin habe. Ich sagte nein,
also beschlossen wir, von nun an beste Freundinnen zu sein. Das sind wir
bis heute.Wir waren beste Freundinnen, als wir uns in den nächsten vier
Jahren fast täglich stritten. Wir waren beste Freundinnen, als sie
wegzog und wir jahrelang nur Briefkontakt hatten. Wir waren auch dann
noch beste Freundinnen, als wir beide in unserer Heimatstadt studierten
und uns dennoch eher selten trafen. Wenn wir einander brauchten, hatten
wir uns: Als ich einige Tage lang keinen Strom hatte, wohnte ich bei
ihr. Bei Liebeskummer half stets unsere eigene Milchshake-Kreation aus
Grundschultagen: Man nehme einen Liter Milch und mindestens drei
verschiedene Sorten Kaba-Pulver. Gut durchmischen und zu zweit innerhalb
einer halben Stunde austrinken. Bauchweh garantiert.
Wir sind
nicht mehr die sorglosen Kinder von damals. Wir mussten vieles
dazulernen und auch vieles ohne einander ertragen, die meisten unserer
Wege alleine gehen. Aber jedesmal, wenn ich hinfalle und mich hundeelend
fühle, weiß ich - sie ist noch da. Und manchmal werden wir wieder
Kinder. Dann legen wir uns mitten auf befahrene Straßen. Und lassen bei
Regenwetter Drachen steigen. Und lachen über Bundeswehr-Soldaten.
Ich hatte Angst, ihr zu erzählen, wie es mir geht. Als ich sie
anrief, war ich total verheult und hatte einen Kloß im Hals. Meine
eigenen Worte kamen mir unwirklich vor: "Ich brauche eine
Transplantation, es sieht schlecht aus." Einige Tage später stand sie in
der Tür meines Krankenhauszimmers, war hunderte Kilometer weit gefahren
um für ein paar Stunden bei mir zu sein. Das ist so ziemlich die beste
Freundschaft, die ich mir vorstellen kann.
Außerdem
gibt es Freundschaften, die man kaum beschreiben kann. Bei denen der
Übergang zwischen "Bekannten", "Freunden" und "Seelenverwandten"
irgendwie längst verschwommen ist. Freundschaft, die wellenartig mal stärker und mal schwächer zu sein scheint. Die man nicht in Worte fassen kann und muss.
Diesen einen Freund kenne ich seit ungefähr acht Jahren. Über das Internet. Getroffen haben wir uns nie.
Ich
konnte ihm immer mal von meinem Alltag erzählen, wie es mit dem Studium
voranging, wie es mit "der Männerwelt" gerade lief, in welche Stadt ich
nun gerade wieder umgezogen war. Erstaunlicherweise erinnerte er sich
immer an diese Dinge und fragte ab und zu danach, wie es mir ging. Von
sich selbst verriet er wenig. Ich kenne seine Stimme, weiß, dass er
etwas älter ist, sein Dialekt
verrät seine ursprüngliche Herkunft, aber er wohnt schon länger in der
Hauptstadt. Sehr viel mehr wusste ich nicht von ihm. Keinen Namen, kein
Bild, keinen Beruf - nichts "Persönliches". Und doch so vieles mehr. Wir
verstehen uns gut, sind auf einer Wellenlänge. Einen guten Bekannten hätte ich
ihn vor einiger Zeit noch genannt.
An einem der ersten Tage im
Krankenhaus hatte ich einen verpassten Anruf auf dem Handy. Und eine
Nachricht auf der Mailbox. Von ihm. Ich hörte sie kurz nach meiner
Diagnose, als ich verwirrt im Patienten-Aufenthaltsraum saß. Von da an
rief er oft an, obwohl wir vorher nie telefoniert hatten. Und ich erfuhr
vieles: seinen Namen, wo er gerade war, dies und jenes aus seiner
Vergangenheit... und nicht zuletzt: dass er schonmal in einer ähnlichen
Situation war wie ich nun. Im gleichen Krankenhaus, auf der gleichen
Station, bei den gleichen Ärzten. Oft sagte er mir, dass ich bis zum
nächsten Anruf durchhalten und kämpfen muss - meistens genau dann, wenn
ich dachte, mir geht die Kraft aus. Er gab mir Ratschläge, wie ich
allein mit der Dunkelheit um mich herum fertig werden kann und half mir,
nicht den Verstand zu verlieren. Eines Tages klopfte er dann persönlich
an die Tür und stand da grinsend, mit Blumen. Kurz darauf, noch am
gleichen Tag, durfte ich das Krankenhaus verlassen. Eine bessere
Freundschaft kann ich mir nicht vorstellen.
Es heißt ja, Freunde seien die Familie, die man sich selbst
aussucht. Das mag sein. Jedoch hätte ich mir einige meiner Verwandten
gar nicht anders aussuchen wollen, weil sie schon Freunde sind. Eine
bessere Schwester hätte ich kaum finden können. Da wir seit Jahren nicht
mehr in der gleichen Stadt wohnen, verständigen wir uns oft über das
Internet, kurze Anrufe oder SMS. Letztere beinhalten manchmal nur
einzelne Worte oder einen Smiley - aber ich weiß trotzdem, was gemeint
ist und wie es ihr gerade geht.
So auch eines Abends, als ich
völlig gerädert von der Hitze und der Magenspiegelung in meinem
Krankenzimmer vor mich hin schwitzte und vor Langeweile nichts anderes
zu tun hatte als den Song-Contest in Baku zu schauen. Sie sah ihn auch - und brachte mich mit sarkastischen SMS-Kommentaren bei jedem Beitrag zum Lachen.
Als ich entlassen war, entdeckte ich auf ihrer Internetseite, dass sie
in den Wochen zuvor viele traurige Lieder gehört und an mich gedacht
hatte. Un-sentimental und cool wie ich bin, heulte ich mal wieder los.
Eine bessere Schwester könnte ich mir nicht vorstellen.
Hallo Yellowgirl,
AntwortenLöschenes schön zu hören das in Deinem privaten Umfeld alles stimmig ist. Ich freue mich wirklich für Dich.
Leider sieht das oft doch ganz anders aus. Als meine Mutter vor fünf Jahren so nach und nach bekannt gab das sie Krebs hat war das erst einmal ein Schock. Während unsere Sippe immer dichter zusammen rückte verabschiedeten sich einige Freunde. Vor allem meine Schwester und ich bekamen das sehr zu spüren. Als sei Krebs ansteckend. Dumme Sprüche wie: Was geht mich das an, waren noch echt harmlos.
Für mich selber war das nicht ganz so schlimm, ich bin durch meine eigene Krankheit, Kummer gewöhnt.
Aber auch bei mir waren es die Leute aus dem Netz bei denen ich mich auskotzen konnte und ein paar sehr enge Leute aus RL. Sie waren immer für meine Mutter, meinen Vater, meine Schwester und mich da.
Nachdem meine Mutter das schlimmste hinter sich hatte kamen dann auch gewisse Leute wieder an gekrochen. So nachdem Motto die Gefahr ist gebannt, man kann wieder auftauchen mit Sprüchen: Na bitte ich habe doch immer gesagt, es wird alles gut.
Wir habe nicht lange gefackelt und die besagten Leute in die Wüste geschickt.
Meine Mutter hat sehr viel während der Chemo und Bestrahlung von anderen Patienten zu hören bekommen. Verlassene Partner, alleingelassene Kinder, Unverständnis, überforderte Mitmenschen usw. Mir haben sich oft die Haare im Nacken aufgerollt, wenn sie die Geschichten der anderen erzählt hat.. Ich finde solche Leute sollten sich schämen. Aber man trifft sich bekanntlich zweimal im Leben. Das tolle an der Sache war, das sich die Krebspatienten immer gegenseitig aufgebaut und unterstützt haben.
Ich finde schön das er Dir im Moment gut geht. Und ich wünsche Dir das es auch so weiter geht und das ganz schnell einen Spender für Dich gefunden wird. Ich werde Deinen Blog auf jeden Fall weiter verfolgen und drücke Dir die Daumen.
Nächsten Monat wird meine Mutter übrigens medizinisch geheilt erklärt werden. Und eigentlich wäre das ein Grund zu feiern, wenn letzte Woche nicht eine Freundin von ihr ihrem Krebs erlegen wäre.
LG
Sanni